Alexander Stoll schrieb in einem hervorragenden Blogbeitrag vor kurzem über die Gründe, warum so viele Social Media-Projekte scheitern:
Hart gesagt: Die meisten [Social Media] Projekte scheitern – und werden weiterhin scheitern. Und zwar maßgeblich aufgrund inadäquater Führungsmodelle und mangelnder Kenntnis bzgl. Der sozialen Aspekte der eingesetzten Technologie.
Denn die namensgebende Sozialität von Social Software erwächst keinesfalls automatisch aus der Funktionalität ihrer Technik. Vielmehr bietet Social Software ihren Anwendern Nutzungsmöglichkeiten, die ein gewisses Sozialverhalten „triggern“, unterstützen und erweitern, jedoch erst aus der gemeinsamen, sozialen Verwendung durch Viele einen Mehrwert generieren. Anders ausgedrückt: Nur weil Social Software in Organisationen verfügbar ist, wird sie noch lange nicht genutzt und führt schon gar nicht automatisch zu der – für Wissensarbeit essentiellen – selbstorganisierten Kooperation der Wissensarbeiter.
Ein im www viel zitierter Satz bringt diese Erkenntnis wunderbar pointiert zum Ausdruck: „A fool with a tool is still a fool.”
Frei übersetzt: „Ein Esel mit einer Anwendung ist noch immer ein Esel.“ In Alexander Stolls Ausführungen stecken folgende Punkte:
- Funktionalität determiniert nicht das Nutzungsverhalten
- das Nutzungsverhalten einer Anwendung unterscheidet sich bei den einzelnen Organisationen
- die erwünschte Art und Weise der Nutzung kann beeinflusst werden
- dennoch muss unterschiedliches Nutzungsverhalten akzeptiert werden
auf die ich genauer eingehen will.
- Die Funktionalität der Tools bestimmt nicht das Nutzungsverhalten der Mitarbeiter. Alexander Stoll schrieb, die Technik „triggert“ das Sozialverhalten. Dies bedeutet, die Anwendungen geben Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Nutzer austoben können. In meiner Dissertation konnte ich sogar beobachten, dass die konkrete Nutzung sogar die Rahmen (also die Einstellungen der Anwendungen) teilweise massiv verschiebt. Demnach nutzen Anwender Web 2.0-Anwendungen nie 100% gleich, worauf ich hier schon einmal genauer einging.
- Aus dem ersten Punkt ergibt sich die Folge, dass die konkrete Art und Weise der Nutzung einer Anwendung zwischen den Organisationen massiv unterscheiden kann. Genau deshalb ist das Studieren von „Best Cases“, die sich zu sehr auf die Technik fokussieren, bei Enterprise 2.0 nur bedingt sinnvoll. Die Bedingungen in den einzelnen Organisationen unterscheiden sich zu stark, weshalb das Nutzungsverhalten nur schwer vorhersehbar ist.
- Auf der Cebit sagte jemand den schönen Satz: „Früher glaubte man, dass man die Technik über den Zaun wirft und dann wird sie schon irgendwie verwendet – heute weiß man, dem ist nicht so“. Wenn das Nutzen von Web 2.0 einen Mehrwert liefern soll, dann muss man sich überlegen, wozu eine bestimmte Anwendung. Wenn sie, wie Alexander Stoll schrieb, zur selbstorganisierten Kooperation für Wissensarbeiter dienen soll, dann muss genau diese Art und Weise der Nutzung unterstützt werden. Dies ist nötig, weil Web 2.0-Anwednungen sehr offen sind und im Gegensatz zu klassischen SAP-Programmen den Nutzern nicht ein bestimmtes Verhalten vorschreiben.
- Kommen wir nun zum Ausspruch: „A fool with a tool is still a fool“. Dies stimmt, bedeutet aber nicht, dass der Esel zu dumm sei Web 2.0 zu benutzen. Er benutzt Web 2.0 auf einer anderen Art und Weise. Dies lässt sich gut mit dem Wissen bezüglich Exel vergleichen. Es gibt Personen, die sind froh, wenn sie wissen, wie man Zahlen richtig einträgt. Andere wiederum kennen sich mit jeder Einzelheit aus, können Grafiken erstellen und alles ausrechnen. Genauso wird es mit allen Web 2.0-Anwendungen sein. Es wird Experten geben, aber auch immer Mitarbeiter, die nur die Basisfunktionen nutzen. Dies bedeutet, die Spielräume einer Anwendung werden maximal ausgereizt. Außerdem bewirkt die Affinität zu Social Media auch eine Präferenz zu bestimmten Anwendungen. Esel, um bei der Phrase zu bleiben, nutzen eher einfache Tools, wohingegen Experten sich auch in schwierige Anwendungen hinein arbeiten. Dies sollte bei der Nutzung verschiedener Web 2.0-Anwendungen in einer Organisation bedacht werden.
Grafisch lassen sich die Punkte etwas überspitzt wie folgt aufarbeiten.
Grundannahme sind zwei Organisationen, die jeweils das gleiche Wiki, Blog und SocialNetwork-Technik einsetzen. Demnach ist es durchaus möglich, dass trotz gleicher Technik, in Organisation A 11% der Social Media Nutzer Wikis, 33% Blogs und 56% das SocialIntranet gebrauchen und in der zweiten Organisation dagegen 60% Wiki, 20% Blogs und 20% das SocialIntranet nutzen.
Wenn wir nun nur die Nutzungsgruppen uns anschauen, ergeben sich dort auch massive Unterschiede. In Organisation A nutzen eher Monteure und in B eher Wissensarbeiter das SocialIntranet.
Mit der Grafik möchte ich unterstreichen, wie heterogen das Nutzungsverhalten und die Nutzungsgruppen sein können. Dies macht das nutzen von Enterprise 2.0 schwieriger, als man für gewöhnlich im ersten Moment annimmt.
Juni 1, 2013 um 14:50 Uhr
Hi René,
vielen Dank für den Bezug. Wie so oft kann ich deinen Aussagen voll zustimmen.
Ich möchte jedoch ergänzen, unter welchen Bedingungen das Studieren von “Best Cases” eben doch sinnvoll sein kann: Wenn nämlich möglichst viele Rahmenfaktoren, die das Nutzungsverhalten beeinflussen (können), in den Best Cases mitbeschrieben werden. Diese können dann mit der Situationsanalyse des eigenen Cases verglichen werden.
So ist es z.B. nicht nur von Interesse, welcher Branche die jeweilige Organisation angehört, sondern auch durch welche Funktionen die entsprechende Organisation dominiert wird. Also, sind bspw. Produktion, Marketing, Vertrieb, IT etc. die dominanten Bereiche oder liegt der Schwerpunkt woanders? Denn unterschiedliche Funktionsbereiche arbeiten auf unterschiedliche Art und Weise, so dass der Mehrwert von Anwendungen für die Mitarbeiter ganz verschieden ausfallen kann und sie dementsprechend Social Software auf spezifische Art und Weise nutzen.
Das hat z.B. Wanda Orlikowski vom MIT bereits 2000 in einem interessanten Artikel beschrieben, und zwar am Beispiel der Nutzung von Lotus Notes durch einerseits Consultants und andererseits IT-Spezialisten. Beide Gruppen nutzten Lotus Notes unterschiedlich stark, adaptierten die Software unterschiedlich schnell und sahen ganz verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Das lag sowohl an ihren Workflows aber z.B. auch an formalen Rahmenbedingungen. So konnten die IT-Worker bspw. die Zeit, die sie mit Lotus Notes verbrachten, ganz klar als Arbeitszeit abrechnen und wurden von ihren Führungskräften auch zur Nutzung angehalten, wohingegen die Consultants Schwierigkeiten hatten, die Zeit abzurechnen.
(Orlikowski (2000): Using Technology and Constituting Structures: A Practice Lens for Studying Technology
in Organizations)
Der letztgenannte Punkt, ob nämlich die Beschäftigung mit Social Software als Arbeit anerkannt wird und ob entsprechende Wertschätzung durch die Unternehmensführung erfolgt, zeigte sich auch in meiner Studie zur Deutschen Telekom als äußerst bedeutsam. Siehe hierzu meinen Blogpost: http://url9.de/Eb3
Weiterhin kann es durchaus eine Rolle spielen, welche Altersstruktur die Beschäftigten aufweisen, da die Personen eine unterschiedliche Affinität zu Social Media besitzen u.v.m.!
Wenn man also Best Cases erstellt, sollte man so viele wie möglich Rahmenfaktoren erheben und dokumentieren.
Und bevor man Social Software im Unternehmen einführt, muss eine entsprechende Analyse der unterschiedlichen Zielgruppen im Unternehmen erfolgen! Jeder seriöse Beratungsansatz beginnt mit gutem Grund mit einer Stakeholderanalyse.
Bzgl. des Einsatzes von Social Software im Unternehmen gilt: Für eine derartige Analyse hat insbesondere
die Soziologie das entsprechende Methodeninventar und das gedankliche Grundgerüst! Soziologie ist eben nicht nur gut, um abgehobene Theorien zu entwickeln oder Statistiken zu fälschen, sondern hat eben auch einen ganz praktischen Nutzen.
Pingback: Der Sinn oder Nicht-Sinn von Enterprise 2.0 “Best Cases” | Stollblog
September 9, 2013 um 10:01 Uhr
Selbsterklärend ist Social Software schon alleine deswegen nicht, weil sie, insbesondere in Unternehmen, mit einem kulturellen Wandel im Unternehmen einher geht. Dieser Wandel ist viel bedeutender als die Einführung einer neuen Technologie, denn letztlich soll diese Technologie Unternehmen aus ihrer in der Regel siloförmigen Wissensverteilung in eine offenes Wissenslandschaft verwandeln. Selbst wenn in der Firma 100% Technologiefreaks säßen, wäre das eine große Aufgabe.
September 9, 2013 um 10:17 Uhr
Hi Carsten,
sehr schöne Zusammenfassung und volle Zustimmung. Letztlich ist die Frage: wie kann der Wandel der Kultur gelingen? Dazu gehört auch, was ist eigentlich die Unternehmenskultur?