Tim Cole plädierte in seinem Blogbeitrag „Totale Transparenz, oder alles ist öffentlich“ dafür, die Vorstellung von Privatheit zu überdenken. Der private Raum sei ein Konzept des Bürgertums aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Es ist im heutigen Zeitalter obsolet. Wir müssen lernen mit der Transparenz zu leben. Eine wesentliche Handlungsroutine sieht Tim Cole in der Diskretion, die in asiatischen Kulturen oder auf dem Dorf stärker gelebt wird.
Die Stoßrichtung seiner Gedanken finde ich richtig, jedoch halte ich seine Gegenüberstellung von totaler Transparenz versus massiver Datenschutz für falsch und gefährlich. Die wichtigere Frage ist für mich, was ist für totale Transparenz geeignet?
Ich würde die Grenze bei der Datenhoheit über die eigene Daten ziehen. Dies bedeutet, jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob bestimmte Daten für die Öffentlichkeit zugänglich sind (Recht auf informelle Selbstbestimmung). Bei Anwendungen wie Facebook wird sich mit der Zeit eh die transparente Kommunikation durchsetzen, da eine intransparente Kommunikation zu viele Nachteile hat. Dies entspricht ungefähr, wofür Tim Cole plädiert.
Andere Informationen sollten nicht transparent werden, weil eine Veröffentlichung Tür und Tor für massive Diskriminierung und Verbrechen öffnet. Bei transparenten Krankenakten, realzeitliche Bewegungsprofile der Handybesitzerin, Einkaufsvorlieben oder Trinkgewohnheiten hört der Spaß auf. Diese Daten sind schon jetzt oder demnächst durch #PRISM oder #Tempora abrufbar, durch die komplette Überwachung der Informationsströme an Datenknoten des Internets.
Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich Folgen der totalen Transparenz auszumalen. Eine Bewerberin wird z.B. für einen Job abgelehnt, weil sie eine bestimmte chronische Krankheit hat. Schließlich kann dies eine Quelle für häufigere Fehltage sein. Auch wird es für Einbrecher durch die Bewegungsprofile sehr leicht sein, festzustellen, wann eine Familie im Urlaub ist und das Haus leicht ausgeräumt werden kann. Staatliche Strafsteuern für den Konsum von ungesunden Essen sind ebenso denkbar.
Die Beispiele sollen zeigen, eine totale Transparenz kann sehr unangenehme Folgen haben. Wenn der Einzelne nicht mehr Herr über die eigenen Daten ist, kann von allen möglichen Seiten massiver Missbrauch betrieben werden. Gerade der Staat würde durch die komplette Auswertung des Datenflusses im Internet Instrumente in die Hand bekommen, die eine totale Überwachung der Einzelnen ermöglichen. In einer Demokratie mag dies eventuell noch halbwegs durch den Ausgleich von Interessen beherrschbar sein, aber wer sagt uns, dass Demokratien immer stabil bleiben? Was bedeutet eine totale Überwachung für die Menschen in autoritären und totalitären Systemen? Wäre die deutsche Einheit möglich gewesen, wenn die Stasi auf die totale Transparenz der Informationen hätte zugreifen können?
Eine Meidung des Internets, wie es manche „Experten“ empfehlen, wird in Zukunft nichts bringen. Informationen über einzelne Personen werden dennoch erhoben und über das Internet übertragen. Beim Arztbesuch muss z.B. die Information über das neue Zipperlein in die zentral gespeicherte Krankenakte. Das Vermeiden des Sammelns von Daten bedeutet in 10 Jahren den kompletten Ausstieg aus der Gesellschaft.
Die Folgen der totalen Überwachung würden das Ende der Freiheit des Einzelnen bedeuten, weshalb ich dafür plädiere, darüber nachzudenken, welche Daten nicht transparent werden sollten. Grundsätzlich bin ich für deutlich mehr Transparenz, da dies die effektive Nutzung von Social Media ermöglicht und letztlich zu mehr Wohlstand führt. Bei einigen Daten würden die Folgen jedoch zu Verlusten führen. Die Gegenüberstellung sollte deshalb nicht völlige Transparenz versus massiver Datenschutz sein, sondern bei welchen Daten nutzt Transparenz und bei welchen nicht!