Seit 3 Jahren gehe ich regelmäßig ins Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum. Dies ist die Hauptbibliothek der HU Berlin, die sich selbst Eliteuni schimpft. Mit der Zeit wurden immer mehr Verbote und Gebote erlassen, die die Bilbiothek zu einem schönen Beispiel für die Folgen einer Verbotskultur machen. Das Absurde dabei ist, häufig wird das Gegenteil von dem Bewirkt, wofür bestimmte Regeln erdacht wurden. Was meine ich damit?
zur Ausgangslage:
Die Bibliothek, die von außen aussieht, wie jeder zweite Neubau in Berlin, wurde im Oktober 2009 eröffnet und erhielt zahlreiche Architekturpreise. Eine Begründung des BDA Preises Berlin: “Die Bibliothek würdigt besonders die Ambivalenz zwischen Ruhe, Ordnung und Konzentration einerseits sowie Transparenz und Offenheit andererseits”. Der Hauptgrund wird der große Lesesaal in der Mitte sein, der an die hängenden Gärten von Babylon erinnert und gleichzeitig das größte Problem der Bibliothek ist:
Sie ist zu klein!!!
Durch die Terassenform gibt es in der Mitte nur ca. 250 Plätze (siehe Bild). Reingepasst hätten 750, wenn man gewollt hätte. Dadurch wäre die Sitzplatzkapazität der ganzen Bibliothek von 1200 auf 1700 gestiegen. Da die Bibliothek verkehrstechnisch gut gelegen ist (2min zu Fuß vom Knotenpunkt S-Bahn Friedrichstr.) und einen großen Buchbestand aufweist, erfreut sich das Bauwerk trotz kaum erträglichen Geräuschpegels einer großen Beliebtheit.
Um das Problem der begrenzten Sitzkapazitäten lässt sich die Bibliotheksleitung einige Verbote einfallen, um möglichst viele nicht HU-Studierende abzuschrecken. Zunächst wurde 2010 die 2te, 3te und 4te Etage in der Kernarbeitszeit werktags von 8 bis 19Uhr für HU-Angehörige reserviert. Die Öffnungszeiten sind werktags von 8 bis 24Uhr.
Außerdem gibt es Parkuhren auf jedem Tisch. Verlässt man mehr als eine Stunde den Arbeitsplatz, dann kann dieser abgeräumt werden. Die einzige sinnvolle Regelung, wie ich finde.
Zusätzlich sind die Mitarbeiter angewiesen, Studierenden keine zweite HU-Bibliothekstüte auszuhändigen. Andere durchsichtige Tüten, Taschen usw. sind nicht erlaubt, weshalb man nur mit diesen HU-Tüten hinein kommt. Dumm ist nur, dass diese nicht besonders stabil sind. Eine Tüte schafft meinen Laptop ca. einen Monat. Sollte dort mehr Kram rein kommen, dann hält die Tüte zwei Tage. Die informelle Regel, die die formale Regel bricht, ist deshalb, nach einer neuen Tüte immer ohne eine andere Tüte in der Hand zu fragen. Nachdem man seinen Rucksack dann im Keller eingeschlossen hat, kommt man ohne Probleme mit zwei Tüten in die Bibliothek.…
Ein weiterer spannender Prozess ist im Forschungslesesaal in der 6. Etage zu beobachten, wo ich mich schon mehrfach fragte, welcher “Experte” stellt hier die Regeln auf? Dort gibt es ca. 15 Reihen a 4 Plätze. Am Anfang meiner Zeit waren dort ca. drei Reihen für HU-Forscher reserviert. Diese Zone wurde irgendwann auf ca. 11 Reihen und schließlich vor ein paar Monaten auf alle Reihen ausgeweitet. Ich bin seit einem Jahr jeden zweiten Tag dort und es gab bisher ganze 0 Tage, in denen der Saal mindestens zu 3/4 besetzt war. Sicherlich ist der Saal im Februar/März und im Juli relativ voll, aber ansonsten sitzen dort selten mehr als 10 Forscher. Warum dort nicht Forscher, die nicht zur Elite-Uni gehören, arbeiten können, wenn etwas frei ist, weiß ich nicht.
Zur Erinnerung, in der 6. Etage ist der Forschungslesesaal für Nicht-HUler ebenfalls gesperrt, weshalb dort in einem Raum noch ca. 20 Plätze bleiben und in der 7. Etage vielleicht noch einmal 30 Plätze. Dies bedeutet, durch diese Entscheidung sperrt das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum alle nicht HU-ler fast komplett von den normalen Arbeitsplätzen aus.
Gut, die Elitebibliothek wird argumentieren, dass sie zunächst den Bedarf der eigenen Studierenden befriedigen muss. Dennoch habe ich meine Probleme damit:
- Es gibt nur 3 Monate im Jahr, in denen die Bibliothek so voll ist, dass man über mehrere Stunden zur Mittagszeit keinen Platz mehr bekommt. Was ist in den anderen Monaten?
- Was machen die HUler, wenn diese Praxis in den anderen Bibliotheken ebenfalls angewendet wird? In Berlin wohnen die Leute sehr verstreut, weshalb es nicht ungewöhnlich ist, dass Studierende Bibliotheken verschiedener Institute nutzen. Würde das Beispiel Schule machen, trifft dies sehr viele Studierende, da man nicht mehr so einfach in die Bibliothek um die Ecke gehen kann, um 2h zu arbeiten.
- In Berlin wohnen und arbeiten eine ziemlich große Anzahl von Promovierenden, die ihre Dissertation an einer anderen Universität außerhalb Berlins schreiben (zu der Gruppe gehöre auch ich). Dürfen diese Studierende dann nur noch in der Stabi arbeiten?
Fazit: Die immer stärkeren Verbote in der HU-Hauptbibliothek zeigen eine einseitige Sichtweise auf. Sie führen vielleicht zu mehr Gerechtigkeit bei den HU-Studierenden, da sie in “ihrer” Bibliothek, die von der Gemeinschaft finanziert wurde, immer arbeiten können. Aus einer nachhaltigen, gesamt-berlinerischen Perspektive führt die Verbotskultur jedoch einerseits zu einem Mehraufwand für viele Studierende, da sie z.B. längere Anfahrtswege zu ihren Bibliotheken in Kauf nehmen müssen und andererseits zu einem weitgehenden Ausschluss der Öffentlichkeit, die dieses schlecht geplante Bauwerk finanzierte. Wollen wir diese Folgen der Verbotskultur wirklich und will die Leitung der Bibliothek diese verantworten?