Mit der Einführung von Enterprise 2.0 in die interne Unternehmenskommunikation sind große Hoffnungen verbunden. Ein Interviewpartner beschrieb diese wie folgt: Herr Xs Firma verfolgt demnach das Ziel, die abteilungsübergreifenden kommunikativen Begrenzungen zwischen den einzelnen „Silos“ durch den Einsatz von Web 2.0-Anwendungen abzubauen. Gelingt dies auf horizontaler und vertikaler Linie? Die knappe Antwort ist JA. Die interessantere Antwort ist jedoch, wenn wir uns anschauen, warum dies so ist. Warum gibt es überhaupt Silos? Welchen Sinn haben sie für Unternehmen? Dazu möchte ich auf Webers Bürokratiebegriff verweisen. Dieser Begriff beinhalten verschiedene Prinzipien. Folgende Prinzipien werden durch Enterprise 2.0 verändert.
Prinzip der Amtshierarchie: „[…] d. h. die Ordnung fester Kontroll– und Aufsichtsbehörden für jede Behörde mit dem Recht der Berufung oder Beschwerde von den nachgeordneten an die vorgesetzten“ (Weber 1972, S. 125). Dies bedeutet, es gibt eine Amtshierarchie, die Kompetenzen und Befugnisse auf der vertikalen Linie klar voneinander trennen. Es ist dadurch geregelt, wie Untergebene sich auf Vorgesetzte berufen und Beschwerden einreichen können.
Das zweite Prinzip: „Die Amtsführung bzw. Aufgabenerfüllung erfolgt nach generellen Regeln. Sie beziehen sich auf die Ziele der Tätigkeiten, die Festlegung von Kompetenzen und Verfahren zur individuellen Aufgabenerfüllung sowie auf den sog. Dienstweg, der Regelungen darüber enthält, wer mit der Angelegenheit befaßt werden muß“ (Mikl-Horke 1995, S. 100f). Arbeitsteilung wird demnach über Dienstwege organisiert, der festlegt, welcher Mitarbeiter was, wann zu erledigen hat. Dies strukturiert die Kommunikation sehr stark.
Das Prinzip der Aktenmäßigkeit beschreibt Weber wie folgt: „Es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörterung tatsächlich Regel oder geradezu Vorschrift ist: mindestens die Vorerörterungen und Anträge und die abschließenden Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen aller Art sind schriftlich fixiert“ (Weber 1972, S. 126). Das Prinzip führt zu einer ausgeprägten schriftlichen Kommunikation, da beispielsweise immer schriftlich nachweisbar sein muss, wer was wann entschieden hat.
Warum sind diese Prinzipien wichtig? Diese beschreiben den Rahmen, in dem schon immer Silos oder Hierarchiegrenzen kommunikativ durchbrochen werden konnten. Ich möchte diese Art der Kommunikation formale Kommunikation nennen. Diese erfolgt primär top-down, folgt einem festgelegten Dienstweg und ist meistens schriftlich. Eine vertikale und horizontale Kommunikation über die Abteilungs– und Hierarchiegrenzen hinweg ist somit sehr strikten Regeln unterworfen und verhindert sehr oft auch Kommunikation. Dies vergrößert den Wunsch nach intransparenter Kommunikation auf informellem Wege (vgl. Kühl 2011, S. 113ff). Diese findet z.B. bei Treffen in kleinen Gruppen, beim Mittagessen oder bei einem Telefongespräch statt.
Das NEUE beim Nutzen von Web 2.0-Anwendungen ist, dass Teile der informellen Kommunikation für alle Mitarbeiter transparent werden. Folgen der transparenten, informellen Kommunikation sind: eine Produktion riesiger Informationsangebote und der Wandel der Kommunikationsabläufe in einigen Themenfeldern wie beim Umgang mit Kommunikationsproblemen, der Nutzungspraxis in den Kommunikationsmedien und der Steuerung von Kommunikation, worauf in den folgenden Artikeln auf diesem Blog genauer eingegangen wird. Was ich damit sagen will: Silos und Hierarchiegrenzen konnten schon immer durchbrochen werden. Früher war dies jedoch nur mit formaler schriftlicher Kommunikation oder mit informeller Kommunikation möglich. An der informellen Kommunikation war jedoch immer nur ein begrenzter Kreis beteiligt, weshalb Ideen oder Probleme versickerten. Das Durchbrechen erfolgte deshalb nur sehr eingeschränkt. Diese Situation ändert Enterprise 2.0. Das Zulassen von Kommunikation in sozialen Intranets über Abteilungs– und Hierarchiegrenzen hinweg kann unter bestimmten Voraussetzungen beispielsweise zu einer Behandlung von großen Problemen des Unternehmens führen. Durch Enterprise 2.0 werden Mitarbeiter, die ein Problem haben, mit Entscheidern verbunden, die durch ihre Entscheidungsbefugnisse das Problem lösen können. Früher war dies oft nicht möglich, da über die formale schriftliche Kommunikation viele Probleme nicht zu die den Entscheidern getragen worden.
Um diese Erkenntnis noch deutlicher zu machen, möchte ich ein Beispiel aus meiner Dissertation beschreiben: Die Anwendung „direktzu“ wird in zwei meiner untersuchten Firmen eingesetzt. Durch diese Anwendung rücken vermehrt große Probleme in den Fokus der Kommunikation. Für Organisationen ist es immer schwierig zu klären, wie die Interessen der einzelnen Mitarbeiter zu werten sind. Im Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen achten Organisationen normalerweise darauf, dass keine Hierarchieebene umgangen wird (siehe Prinzipien oben). Durch formale Regeln wird dies gewährleistet. Parallel zu den formalen Regeln bilden sich informelle Wege aus, um langwierige Prozesse unter Umständen abzukürzen (Kühl 2011, S. 113ff). Der Einsatz von Web 2.0-Anwendungen erleichtert das Abkürzen und damit das Umgehen von Hierarchien deutlich. Beim Einbringen von Vorschlägen oder Ideen beschreibt beispielsweise Herr Z sein vorgehen. Gewöhnlich halte er sich an formale Hierarchien (vgl. Herr Z 65), aber:
65 | Dendo_Herr Z: […] wenn ich was lostreten will dann würde ich schon bisschen weiter oben ansetzen |
66 | I: mhm |
67 | Dendo_Herr Z: auch auf die Gefahr hin dass es dann wieder Leute gibt die sich dann übergangen fühlen und dann beleidigt sind, so was hat man ja schnell .. |
Wenn er wirklich etwas ändern will, dann bringt er seine Ideen auf höhere Ebene ein. Ihm ist bewusst, dass sich Leute eventuell übergangen fühlen. Das Verb „lostreten“ kann als etwas Größeres interpretiert werden. Er bringt etwas oben ein, wenn es sich um ein größeres Problem handelt. Auch andere Interviews bestätigen: Kleine Probleme bzw. Ideen werden bisher im Bereich oder mit direkten Vorgesetzten besprochen und große Problemewerden nicht gelöst, da die Vorschläge versickern. Diese großen Probleme bzw. Ideen werden nun im Enterprise 2.0 eingebracht.
Das Abkürzen bzw. das Umgehen von Hierarchien und die transparente Kommunikation im Enterprise 2.0 können unter Umständen zu Lösungen von großen Problemen führen, die vorher nicht lösbar waren. Dies ist wahrscheinlich nicht nur aus der Perspektive der unteren sondern auch der oberen Hierarchieebenen wünschenswert. Mitglieder der oberen Ebene stehen beständig vor dem Problem zu erkennen, welche Probleme große Probleme sind. Eine Lösung dieser, so ist zu vermuten, würde größere positive Effekte verursachen, als die Lösung kleiner Probleme. Durch die Kommunikation von Web 2.0-Anwendungen, die bei der Identifizierung von wichtigen Problemen helfen, kann ein CEO die internen Berechnungen sowie die Annahmen seines Stabes grob prüfen. Letztlich ist die direkte Kommunikation von oben mit unten ein Umgehen der mittleren Hierarchiestufen. Die Begrenzungen in der hierarchischen Kommunikation zwischen oben und unten werden dadurch neu ausgehandelt.
Der Einsatz von Enterprise 2.0 führt demnach unter Umständen zu vermehrter Kommunikation zwischen den Bereichen und Hierarchieebenen, weshalb Silos abgebaut werden. Wie diese Umstände aussehen, wird in den folgenden Artikel aufgezeigt.
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