Regelmäßig berichten mir Studierende oder Promovierende nach Gesprächen mit ihren Betreuern oder nach Vorstellungen des eigenen Forschungsvorhabens in Kolloquien von den gleichen Problemen: Es werden Anregungen gegeben, die nicht so richtig zum bisherigen Vorgehen passen oder einfach nur verwirren.
Dies ist besonders dann ein Problem, wenn die Anregungen von der Person kam, die später mal die Arbeit kontrollieren soll. Durch das Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Person ist die gewöhnliche Reaktion, die Vorschläge möglichst exakt umzusetzen. Vor dieser Reaktion möchte ich hier eindringlich warnen. Was sind die Konsequenzen dieses Verhaltens?
a) die Dimensionen der Arbeit explodieren
b) die Schreibende verlieren eventuell ihre Motivation, da es nicht mehr die eigene Arbeit ist, sondern die Arbeit der Betreuer
c) es wird massiv Zeit vergeudet, da die Schreibenden abgelenkt werden
Ich befinde mich momentan in der Sandwichposition, da ich Arbeiten betreue und selbst betreut werde, weshalb ich an dieser Stelle kurz die differierenden Perspektiven der Betreuer und Schreiber darlegen möchte. Für gewöhnlich betreuen Professoren dutzende Abschlussarbeiten (Bachelor, Master und Promotionen) parallel. Schreibende beschäftigen sich oft ausschließlich mit der eigenen Arbeit. Dies führt zu Scheuklappen, die mit der naiven Hoffnung verbunden ist, dass die Betreuer über die eigene Arbeit halbwegs bescheid wüssten. Schreibende knüpfen deshalb oft beim zweiten Beratungsgespräch an die Ergebnisse des ersten Gesprächs an, da sie sich gut an das vorangegangene Gespräch erinnern. Für sie sind die Arbeit und die Gespräche wichtig.
Die Krux an der Geschichte ist, dass dies auf die Betreuer nicht zutrifft. Im günstigen Fall versuchen sie ihre Schäflein zu helfen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie sich nach einem Monat sich noch genau an Gesprächsdetails und Abmachungen erinnern können. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass Betreuer mal das eine und beim nächsten Gespräch etwas völlig anderes vorschlagen. Dies ist kein böser Wille, sondern zeigt die Relevanz der Betreuungsleistung. Für Professoren gehört es zum Job und ist oft eher Pflicht als Kür. Für Schreibende ist sie dagegen sehr wichtig.
Daraus lässt sich für Schreibende schlussfolgern, dass sie die Anregungen nicht so ernst nehmen sollten. Sicherlich sollte der Rahmen der Arbeit in den Gesprächen abgesteckt werden, aber die genaue Ausgestaltung dieser obliegt den Schreibenden. Gute Betreuer können auch bei speziellen Problemen helfen, aber es ist utopisch von diesen zu verlangen, dass sie gedanklich so tief in der Arbeit stecken, wie die Schreibenden. Dies ist nicht möglich.
Auch wenn es schwer fällt und Schreibende ein gewisses Risiko eingehen: Am Besten ist es, wenn Schreibende ihr Ding durchziehen und ab und zu abchecken, ob der eingeschlagene Weg akzeptiert wird.
Oktober 7, 2013 um 10:58 Uhr
Erlebnisse (“… und was war nochmal Ihr Ansatz?”), die wohl jeder kennt, der schon einmal eine Abschlussarbeit geschrieben hat. Man sollte aber vielleicht zwischen den verschiedenen Arbeiten Differenzieren: bei einer Masterarbeit sollte die Betreuung und auch Führung durch den Betreuer wesentlich enger sein, als Beispielsweise bei einer Dissertation. Und je enger die Betreuung ist, desto besser kennt der Betreuer auch die Arbeit des Studenten. Es wird dann natürlich eine Abwägung zwischen der Freiheit in der eigenen Forschung und dem Gängelband des Betreuers. Und ob es dabei die goldene Mitte gibt, ist fraglich.
Oktober 7, 2013 um 12:02 Uhr
ja, dort gibt es wirklich große Unterschiede. Auch zwischen den Fächern wird es erhebliche Differenzen geben. Grundsätzlich möchte ich Studierende vor zu großen Erwartungen warnen. Mir wurde nun schon mehrfach folgende Situation berichtet: beim vorletzten Mal meinte er/sie dies und dann beim letzten Mal meinte er wieder das, was er /sie beim drittletzten Mal erzählt hat. die Arbeit zwischen dem letzten und vorletzten Treffen ist dann für den Eimer.
Oktober 7, 2013 um 11:30 Uhr
Mir gefällt, wie du diese doppelte Differenz des Betreuungsverhältnisses und die universitäre Rahmung beschreibst. Auch wenn ich deinen Beobachtungen absolut zustimme, glaube ich, dass ein wesentliches Problem noch etwas anders gelagert ist. Nämlich in der Kommunikation zwischen Betreuer und schreibender Person einerseits im klassischen Sinne des Missverständnisses, anderseits aber auch genau dann, wenn die schreibende Person ihre Probleme nicht sehen und einschätzen kann und eigentlich auch nicht weiß, welche Fragen sie stellen soll. Dann — und nur dann (imho) — wäre eine Leitung und Orientierungsweisung des Betreuers angebracht. Das Problem was sich daraus ergibt, ist eine möglicherweise unzureichend reflektierte Übernahme der Ideen des Betreuers, die dann nicht argumentiert werden können.
Daher würde ich dafür plädieren, die Ideen des Betreuers stets zu hinterfragen und zu überlegen, ob jene wirklich mit meiner Vorstellung einer Abschlussarbeit zu vereinbaren sind. Man reduziert somit zugleich das Risiko, dass die Arbeit aus dem Ruder läuft, wenn man sein eigenes Ding durchzieht. Macht man das nicht, setzt man sich quasi selbst auf den Beifahrersitz und guckt wo das Auto hinfährt.
Oktober 7, 2013 um 20:41 Uhr
“Durch das Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Person ist die gewöhnliche Reaktion, die Vorschläge möglichst exakt umzusetzen.”
Auch wenn das Abhängigkeitsverhältnis nicht im Vordergrund steht: Man tendiert dazu, die Hinweise des Betreuers exakt umzusetzen, weil einem dadurch diese unerträgliche Verantwortung und das Risiko der eigenen Entscheidungen abgenommen wird. Scheinbar… denn letztendlich führt kein Weg daran vorbei.
Oktober 8, 2013 um 11:54 Uhr
Hi Janis,
der Punkt ist halt, den mMn viele nicht sehen, dass die Verantwortung in dem Moment des Gesprächs abgenommen wird. Wenn sich die Betreuer aber nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, dann erfolgt das Abtreten der Verantwortung nur SCHEINBAR. Sehr schönes Wort von dir! am Ende haben die Schreiberlinge die Verantwortung und auch das Risiko, welche nur bis zu einem gewissen Grad minimiert werden können.