Facebook Home soll der nächste Entwicklungsschritt der sozialen Netzwerke sein. Sascha Lobo stellt dazu fest: „Die Strategie hinter Facebook Home ist wegweisend. Apples iPhone definierte das mobile Gerät neu, Googles Android das mobile Betriebssystem, Facebook Home könnte die Beziehung zwischen Nutzer und Smartphone neu definieren.“
Dem stimme ich zu und dennoch wird Facebook-Home scheitern, weil es auf ein Hyper-Ich (so nennt es Sascha Lobo) und nicht auf ein Multiples Hyper-Ich ausgerichtet ist. Oder anders formuliert: Bei der Neudefinition der Beziehung zwischen Nutzer und Smartphone setzt sich nicht Facebook Home durch sondern eine Anwendung, die meine verschiedenen Ichs im Internet in einer Anwendung zusammenfasst. Hört sich wahrscheinlich noch immer sehr kompliziert an. Eine Erklärung gibt es, wenn wir uns mit dem Thema Identität im Internet näher auseinander setzen.
Was sich hinter Identität verbirgt, verstehen wir besser, wenn wir darüber nachdenken, welche Rollen wir im alltäglichen Leben spielen. So spielt die fiktive 24 jährige Marta – Studentin aus Köln – die Rolle der linksrheinischen Südvorstädterin gegenüber den rechtsrheinischen Deutzern, als Kölnerin gegenüber den verfeindeten Düsseldorfern, als NRWlerin gegenüber den arroganten Bayern und bemitleidenswerten Ossis, als Deutsche gegenüber den Nachbarn aus Frankreich und als Europäerin gegenüber den Amerikanern oder Asiaten. Neben den räumlich konstruierten Rollen gibt es weitere, wie die Rolle des Kindes gegenüber ihren Eltern, der Studentin gegenüber den hart arbeitenden Angestellten, der Volleyballerin gegenüber den dreckigen Fußballern, der Aushilfe gegenüber den Festangestellten, der Streberin gegenüber den faulen Studenten, des Arbeiterkindes gegenüber dem Kind aus gutem Hause und schließlich hat sie auch noch Eltern aus Polen, weshalb sie zweisprachig aufwuchs und in Deutschland deshalb die Polin und in Polen die Deutsche ist.
All die Beispiele zeigen, es gibt nicht DIE Identität. Identität ist kontextgebunden. Sie ist abhängig von der Zuschreibung der Anderen, die u.a. aufgrund von Aussehen, Abstammung, Mitgliedschaft und Werdegang erfolgen. Oft ist es uns nicht bewusst, aber wir besitzen viele Identitäten, die teilweise sogar in Konflikt zueinander stehen. Sehr bekannt ist das Bild des liebevollen Vaters, der im Job mit harter Hand sein Team führt. Sein Kind (z.B. Marta) war schockiert, als sie ihn zum ersten Mal im Job sah. Die zentrale Feststellung in solchen Momenten ist dann: So kenn ich ihn gar nicht; er verhält sich ganz anders.
Je nach Kontext werden an uns unterschiedliche Erwartungen herangetragen, denen wir bewusst oder unbewusst in unserem Handeln entsprechen. Ein Zuwiderhandeln hat lästige Erklärungsnöte zur Folge, denen sich die meisten entziehen. Die Frage: „Bist Du Deutscher, Europäer oder Weltbürger?“ ist deshalb sinnlos, da man nicht eines der drei Sachen sein kann, sondern alles sowieso ist und nur die Selbstidentifizierung mit den jeweiligen Ebenen stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann. Durch das Erfüllen von herangetragenen Erwartungen, kann der Einzelne auch dazu beitragen, dass die Fremdzuschreibung der Anderen zu einer Ebene tendiert. Trotz dieser Bemühungen werden Situationen auftreten, die unterschiedliche Zuschreibungen zur Folge haben. Eine bayrische Lederhose assoziieren wir in Deutschland z.B. mit Bayern und Amerikaner mit Deutschland. Das gleiche Identitätsmerkmal erfährt demnach unterschiedliche Identitätszuschreibungen, mit dem der Träger fertig werden muss.
Kommen wir nun endlich zum Internet. Zwei wesentliche Entwicklungen sehe ich bezüglich Identitäten:
- Das Selbstmanagement bezüglich Identität wird erschwert, da die Kontexte verschwimmen.
- Multiple Identitäten und Abschottung bestimmter Bereiche sind Lösungsstrategien im Identitätsmanagement.
Zum ersten Punkt: Die heterogenen Identitäten (z.B. Kölnerin versus Migrantin versus Volleyballerin) waren früher bezüglich Ort und Zeit stärker getrennt, weshalb die einzelnen Rollen leichter gespielt werden konnten. Auf Facebook sind plötzlich alle Kontaktpersonen in einer Freundesliste, die über Martas Account in Kontakt kommen können und auch noch anfangen zu interagieren. Die Volleyballer entdecken, dass sie eine Streberin ist, die Kölner, dass sie auch Freunde in Düsseldorf hat usw. Die einzelnen Lebensbereiche vermischen sich massiv auf sozialen Netzwerken, was nicht ohne Folgen für die Identitätsarbeit ist.
Es gibt nicht wenige, die diese Identitätsarbeit überfordert, weshalb es einen Trend zu multiplen Identitäten auf der gleichen Plattform gibt. So stellten Blogger erstaunt fest, dass „124% der 16Jährigen ÖsterreicherInnen auf Facebook sind“. Wie ist dies möglich? Ein wesentlicher Grund: Jugendliche haben oft zwei Accounts auf Facebook – einen für die Eltern und einen für die Freunde. Jeder von uns kennt die Überlegung, ob man eine Freundschaftsanfrage der Eltern annehmen soll. Da die Rollen bzw. Identitäten Kind und Freundin für Jugendliche nur schwer vereinbar sind, ist es in einigen Milieus Normalität, zwei Accounts zu pflegen. Auf der Vorderbühne findet die sachliche Interaktion mit den Eltern statt und auf der Hinterbühne geht dann die Post ab.
Auch für andere Nutzer sind zwei Accounts bzw. Identitäten leichter zu managen, als eine/r. Berufliche Kontakte versus private Kontakte oder Verein versus Familie sind zwei weitere Konfliktfelder des Identitätsmanagements, die mit multiplen Accounts umgangen werden. Dies ist kein reines Facebookphänomen. Auch bei Twitter sind Zweit– oder Drittaccounts beliebt. Anbieter von sozialen Plattformen reagieren auf dieses Problem einerseits mit dem Zwang zum Klarnamen, was bisher kaum Wirkung zeigte und andererseits mit der Möglichkeit des Anlegens von Listen (Facebook) bzw. Kreisen (Google+) in denen dann die Freunde nach Kontext getrennt werden können.
Neben diesen Identitätsbearbeitungsstrategien innerhalb einer Plattform existieren im Internet andere Bereiche, wie Onlinespiele, Datingseiten oder Fachforen, bei denen gerne Avatare, Künstlernamen oder Nicknames genutzt werden, um ein bestimmtes Bild von sich zu kreieren. Nutzer dieser Bereiche ist häufig die Anonymität wichtig, weshalb die Aktivitäten auf diesen Seiten von anderen Bereichen im Internet strikt getrennt werden. Wir alle managen somit auch im Internet verschiedene Identitäten, die nicht gemischt werden. Auf der Vereinshomepage ist Marta die Volleyballerin, im Studentennetzwerk der Uni Köln die Studentin im Fachschaftsrat, bei Twitter die BWLerin mit Schwerpunkt Marketing usw.
Die einzelnen Identitäten, die sie auf ihren Profilen und mit ihren Aktivitäten kreiert und lebt, unterscheiden sich teilweise erheblich. Dies steht der von der Technik bzw. von Facebook forcierten Tendenz der „VerFacebookung“ ganzer Internetbereiche entgegen. Das Identitätsmanagement wird mit immer mehr Freiheitseinschränkungen konfrontiert. Ich vermute, die Menschen werden sich der zunehmenden Gleichmacherei der eigenen Identitäten, die Facebook Home verlangt, widersetzen. Alternativen, die wie Facebook Home funktionieren, aber das Identitätsmanagement erleichtern, werden mehr Sinn für die Nutzer machen und deshalb präferiert. Anwendungen wie TweetDeck zeigen teilweise, wie so eine Erleichterung aussehen könnte. Die offene Frage ist, welche Meta-Plattform vereint in Zukunft auf dem Smartphone meine verschiedenen Profile und sozialen Plattformen? Facebook Home wird dies jedenfalls nicht sein, da dies dem Geschäftsmodell von Facebook – die Nutzer innerhalb der eigenen Welt so lange wie möglich zu halten – widersprechen würde. Mein Fazit ist deshalb: Facebook Home wird am Identitätsmanagement der Nutzer scheitern.
April 10, 2013 um 15:23 Uhr
Danke für den Artikel. Bezüglich multiple Identitäten stimme ich dir zwar teilweise zu, aus Sicht von fb ist diese Herangehensweise aber verständlich: Für die Masse der Menschen auf fb wird der “eindimensionale” mobile Launcher ausreichen. Es wird auch gar keine Rolle spielen, ob die Anwendung selbst direkt erfolgreich wird. Der strategische Schachzug dahinter ist genial, nicht nur wenn man Aufwand/Nutzen berücksichtigt, sondern auch die taktische Auswirkung in Richtung Google & Apple.
April 10, 2013 um 16:20 Uhr
Hi Tim, danke für deinen Kommentar.
Ich sehe es wie Du, dass der strategische Schachzug super ist und an der Stelle von Facebbok würde ich auch so handeln. Alle Schwergewichte versuchen Räume/ Bereiche zu etablieren, in denen sie selbst als einziger Anbieter auftreten. Im Gegensatz zu dir glaube ich nicht, dass “eindimensionale” mobile Launcher für die Masse ausreichen, da die Idenitätskonflikte bei ausschließlichen Nutzung einer Web 2.0 Plattform zu heftig werden. Junge Menschen haben dies unbewusst schon registriert, weshalb die Beliebtheit von Facebook in dieser Altersgruppe abnimmt. Multiple Identitäten werden im Internet immer bleiben und diese kann Facebook Home nicht leisten, weshalb sie mittelfristig abgelöst werden oder ihre Strategie ändern.
April 10, 2013 um 17:00 Uhr
Ich hab den strategischen Schachzug gelobt, der ist zum heutigen Zeitpunkt genial. Zu deinem Kommentar: Ich sehe keinen Abwanderungstrend zu anderen “Anbietern” aufgrund von Identitätskonflikten.