Die FDP liegt am Boden. Sie ist der politische Kotzbrocken der Nation. Es gibt nicht Wenige, die lieber heute als morgen das Ende dieser Partei herbei sehnen. Dennoch trete ich jetzt dieser Partei bei; warum?
Meine Vergangenheit
Meine Wegbegleiter wissen, dass ich mit einer Unterbrechung von 2006 bis 2013 sehr lange Stipendiat der Friedrich-Naumann Stiftung war und mich dort stark engagierte. Besonders in den 20xx Jahren trat ich als starker Kritiker der FDP in der Stipendiatenschaft auf. Mir gefiel die Fixierung auf das Thema Wirtschaft nicht und ich brauchte lange, um zu erkennen, dass die FDP beispielsweise in Bürgerrechtsfragen, Gleichstellungsfragen oder Datenschutzfragen sehr gute Positionen vertrat. Diese waren jedoch selbst für Stipendiaten der FNF kaum sichtbar.
Zwei konkurrierende Wertesysteme
Erst vor kurzem verstand ich beim Lesen des Buches „Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ von George Lakoff und Elisabeth Wehling, warum mich die FDP im Gegensatz zur Stipendiatenschaft so stark abstieß. Warum mir wichtige Themen nicht nach außen getragen wurden. Lakoff teilt die grundlegenden Konzepte von Politik in nur zwei Lager ein. Auf der einen Seite steht die „Strenge-Vater-Weltsicht“ (dies sind in Amerika die Konservativen) und auf der anderen Seite die „Fürsorgliche-Eltern-Weltsicht“ (Progressive). Dies sind zentrale Grundlagen der Begründung von Politik. In der ersten Weltsicht geht es um die Autorität eines Familien– bzw. Staatsoberhaupts, die Einteilung der Welt in Gut und Böse oder das Frönen des freien Marktes, den es bei genauerer Betrachtung nicht geben kann. Die progressive Weltsicht hat als zentrales Konzept Fürsorge und Verantwortung. Das konservative hierarchische Kommunikationsmodell wird bei den Progressiven durch ein dialogisches ersetzt.
Konservative versus Progressive in der FDP
Diese Einteilung der politischen Sphäre der USA lässt sich nicht 1 zu 1 auf Deutschland übertragen. Um die Probleme der FDP zu verstehen, hilft es jedoch ungemein. Meine These ist, die Bruchlinien innerhalb der liberalen Gemeinschaft verlaufen nicht zwischen Ordoliberalen, Libertären oder Sozialliberalen, sondern zwischen Konservativen und Progressiven. Die Politik in Westerwelles Ära war im Kern geprägt durch das „Strenge-Vater-Modell“. Das Buch zeigt sehr eindrucksvoll, warum Steuererleichterung, die naive Vorstellung, dass eine freie Marktwirtschaft automatisch zu einer institutionellen Demokratie führe, und die Annahme ausschließlich rational handelnder Marktteilnehmer einer konservativen Perspektive entspringen. Themen der progressiven Seite (Verantwortungsgemeinschaft, Individualisierung der Bildung, Chancengesellschaft usw.) wurden unter Westerwelle nicht in den Vordergrund gerückt.
Der Wandel der Anhängerschaft
Die Fokussierung auf das Thema Wirtschaft, was auch noch konservativ begründet wurde, vergraulte mit der Zeit viele Liberale, denen beispielsweise Bürgerrechte, die Zivilgesellschaft oder Gleichstellung wichtig sind. Sie gingen in den letzten 15 Jahren lieber zu den Grünen, zur SPD oder in den letzten Jahren zu den Piraten. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die rot-grüne Regierung deutlich liberaler war, als die SPD und die Grünen es heutzutage sind. Dies förderte innerhalb der FDP eine sehr einseitige konservative Deutungshoheit über den Begriff Liberalismus. Dies erkannte vor gut drei Jahren eine Gruppe von Stipendiaten, die in ihrem Positionspapier „Zukunft ist Emanzipation“ eindrucksvoll aufzeigte, dass Liberalismus in vielen politischen Feldern anders – progressiv – ausbuchstabiert werden kann.
Mit dem Desaster der letzten Bundestagswahl und dem Aufkommen der AfD gehen der FDP scharenweise die konservativen Anhänger verloren. Diese fühlen sich bei der AfD oder der Union im Zweifel besser aufgehoben. Im Herzen sind dies Konservative und keine Liberale. Gleichzeitig hat die FDP bei den Progressiven noch nicht genug Vertrauen gewonnen, dass diese sie wählen würden. Dies ist jedoch nicht verwunderlich, da, so Lakoff in seinem Buch, Metaphern, Frames oder Bilder, die auf einem bestimmten Wertekanon basieren über Jahre, wenn nicht sogar über Jahrzehnte, aufgebaut werden.
Hoffnung für die FDP
Die aktuelle Politik der großen Koalition (z.B. Rentenpaket -> Verantwortung gegenüber der jungen Generation, NSA -> Bürgerrechte, Ukraine -> im Zweifel sind Wirtschaftsinteressen wichtiger als Menschenrechte) und der langsame Wandel der FDP (mehr Basisdemokratie, breitere Themenvielfalt, Labor) verdeutlichen, wie wichtig eine starke FDP wäre, die das Individuum in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt und den Liberalismus in allen Lebensbereichen progressiv ausdefiniert.
Friedrichshain-Kreuzberg – das Labor der FDP
Wie es der Zufall so will, lebe ich im Berliner Stadtbezirk mit dem deutschlandweit speziellsten Wahlergebnis: Hier regieren die Grünen (ca. 35%) und SPD sowie Linke und Piraten sind stärker als die Union. Die FDP ist parlamentarisch nicht existent. Genau diese Situation ist ein guter Nährboden für ein Labor. Wir sind Liberale, die progressiv denken und Politik auf eine neue Art und Weise machen wollen. Zu verlieren haben wir dabei in dem rotesten Bezirk Deutschlands nichts. Ich glaube, genau an diesem Ort können wir zeigen, was einen modernen Liberalismus ausmacht. Dies möchte ich mitgestalten, weshalb ich vor ein paar Tagen dem Labor der FDP beigetreten bin.
Juli 12, 2014 um 12:20 Uhr
Das ist eine sehr gute Analyse. Wichtige Aspekte sind Datenschutz/Menschenrechte/Privatsphäre/ Vielfalt/ Individualität/Emanzipation/liberale Meinungsbildung in fairen Debatten.
Klassifizierungen in Libertär/sozialliberal/wirtschaftsliberal nicht sinnvoll.
Neuer Fallstrick ist aber auch Differenzierung in konservativ/progressiv.
Vielleicht sollte man nur von einem “engagierten Liberalismus” sprechen und diesen mit Inhalten füllen.
Juli 12, 2014 um 17:34 Uhr
Ich vermute, man kann die Menschen wirklich auf dieser Achse Konservativ und Progressiv einordnen. Ich warne aber davor eine Seite zu vernachlässigen. Auch ich habe den Liberalismus immer in zwei Divisionen eingeteilt.
Die eine kämpft für einen Staat dessen einzige Aufgabe es ist die Freiheit und das Eigentum des einzelnen zu schützen. Zu diesem Zwecke fordern diese Einheit einen Starken Staat, dessen Funktionsträger aber ebenso starken Kontrollen und Schranken unterliegen.
Die zweite Division kämpft für eine Gesellschaft in der die Emanzipation des einzelnen das oberste Ziel ist (um es verkürzt auszudrücken). Freiheit — Gleichheit — Brüderlichkeit!
Viele Artikel zum Thema “quo vadis FDP?” wird Liberalismus oft nur noch als eine der beiden Brüder gesehen. Bei den Libertären ist alles ok, was auf die Inizierung von physischer Gewalt verzichten. Viele dieser Staatskonzepte erinnern an feudalistische großteils Monarchistische Ministaaten. Und auf der anderen Seite diejenigen die zusammen mit den Grünen, Piraten und Teilen der SPD die Menschheit nach vorne bringen wollen. Dieses Bündnis erinnert mich immer ein wenig an die Jakobiner.
Wir brauchen beide, um Maß und Mitte zu halten! Eine wirklich liberale Gesellschaft kann nur im Einklang beider So unterschiedlicher Divisionen erbaut und erhalten werden.
Juli 25, 2014 um 23:31 Uhr
Sehr geehrte Sylvia Bruns,
ich kann Ihnen zu diesem Schritt aufs herzlichste Gratulieren und wünsche Ihnen viel Erfolg. Ihre Themen in diesem Bericht kann ich nur unterstreichen, wir brauchen die Bürgernähe mehr denn je, wir müssen umdenken nur so kann sich auch wieder Erfolg einstellen.