Vorgestern schlussfolgerte Christian Jakubetz über den Zustand der Piratenpartei im Cicero:
„Aber trotzdem, die Piraten scheitern weder an Julia Schramm noch an Ponader. Sie scheitern an der Lücke zwischen ihrem digitalen Allwissenheitsanspruch und der Unfähigkeit, wenigstens simple Strukturen schaffen zu können.“
Die Schlussfolgerung erscheint zunächst richtig. Dennoch empfinde ich die Fokussierung auf den Allwissenheitsanspruch als unzureichend. Was steckt eigentlich hinter der Unfähigkeit Strukturen zu schaffen?
Die Piraten sind einmal angetreten, die Politik zu verändern. Besonders die Art und Weise der Politik sollte durch digitale Medien revolutioniert werden. Liquid Feedback sei dabei das Werkzeug der Revolution. Andere Parteien schufen sich ähnliche Werkzeuge. (die FDP z.B. New Democracy)
Auffällig ist, dass Liquid Feedback nicht die Hoffnung erfüllen kann, die in das Werkzeug gesteckt wurden. Die Ursache liegt bei der mangelnden Verknüpfung von Ergebnissen in dem Tool mit politischen Prozessen außerhalb des Tools. Dies hat folgende Gründe.
- Ein Forum ist das denkbar schlechteste Medium über das schwierige Diskussionen geführt werden können. Deshalb müsste es durch andere Formate, wie Workshops oder Arbeitsgruppen ergänzt werden.
- Viele Piraten klagen über eine schlechte Nutzerfreundlichkeit des Tools.
- Ein politischer Prozess endet nicht mit der Abstimmung über die verschiedenen Positionen, die in einer Diskussion aufgetreten sind. Neben der basisdemokratischen Beteiligung ist die Einspeisung des Diskussionsergebnisses in die Politik genauso wichtig.
- Die Diskutanten erfahren nur bedingt, was aus dem Diskussionsergebnis geworden ist. Dies untergräbt die Legitimation des Tools, weil die langwierige Diskussion zu nichts führte.
Alle Probleme führen zu einer geringe Mitgliederbeteiligung (ca. 10% der Piraten) im Liquid Feedback. Außerdem frustriert die Basismitglieder die mangelnde Sichtbarkeit der Prozesse, die nach der Diskussion erfolgen. Die Diskussion wird als sinnlos empfunden.
Der digitale Alleinvertretungsanspruch ist demnach nicht das Hauptproblem, sondern die mangelnde Fähigkeit der Einspeisung der digitalen Diskussion in den politischen Prozess. Dennoch ist Liquid Feedback eine kleine Revolution, die jedoch lediglich im Bereich der möglichen Beteiligung von Parteimitgliedern in der Diskussion stattfand. Dort wurden neue Strukturen aufgebaut, die es so bisher in Deutschland nicht gab. Der Anspruch Politik an sich radikal zu ändern, musste jedoch scheitern. Nötig ist ein langer Prozess der Annäherung von politischen Prozessen an die Möglichkeiten, die Web 2.0 Anwendungen bieten.
Organisationen können von diesem Beispiel besonders folgendes Lernen. Das Einführen und Nutzen eines Tools verändert nichts. Erst das Einspeisen der Ergebnisse der Beteiligung an Diskussionen in Arbeitsprozesse und Abläufe führt zu positiven Veränderungen, die von Mitarbeitern beeinflusst werden.