Wen Funktionseliten über etwas entscheiden, wovon sie keine Ahnung haben.
Mit Erstaunen musste ich heute den Artikel von Maria Timtschenko lesen, der sich mit den Regeln der einzelnen Bundesländer bezüglich der Facebook-Nutzung von Lehrern im beruflichen Kontext befasste. Diese Regeln sind in meinen Augen abenteuerlich und sollen in diesem Blogbeitrag kritisch beleuchtet werden, da sie in den Kommentaren des Artikels viel Zustimmung erfuhren:
- “Über den Zugang zu Facebook besteht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft — diejenigen, die Mitglied sind und die anderen, die außen vor bleiben, weil sie zu jung sind oder die Eltern es nicht erlauben”, sagt Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Philologenverbands.
Herr Meidinger, der selbst Facebook nicht nutzt, versteht anscheinend nicht, dass Facebook ein Werkzeug für Kommunikation ist. Facebook ist u.a. deshalb so stark geworden, weil innerhalb von Facebook viele Sachen leicht organisiert werden können. Diese Vorteile kann man nutzen, dann meldet man sich an, muss man aber nicht, dann meldet man sich nicht an. Die heraufbeschwörte Gefahr der Zwei-Klassen-Gesellschaft suggeriert außerdem, dass im Internet nur Facebook als Informationskanal existiert und blendet aus, dass Schüler noch viele weitere Kanäle (z.B. WhatsApp, lokale soziale Plattformen, Spiele usw.) nutzen, in denen man ebenso Gruppen gründen und kommunizieren kann. In der Logik des Herrn Meidinger müsste es für ALLE Kanäle in denen sich Lehrer und Schüler potenziell aufeinander treffen könnten, Richtlinien geben.
- Auch Mobbing im Internet sei hier ein Problem: Soll der Lehrer hier eingreifen und mit dem Vertrauen der Schüler brechen?
Dies ist ein Scheinargument. Vor diesem Problem stehen Lehrer auch auf dem Schulhof und im Klassenraum. Das Medium der Kommunikation ändert sich, aber das Problem ist das Gleiche. Ein Verbot von Facebook würde nur bedeuten, dass das Mobbing im Internet für den Lehrer nicht sichtbar wird. Meidinger plädiert also für das Motto: „Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß“.
Nun zu den Highlights der Handreichungen:
Das Kultusministerium in Baden-Württemberg verbietet:
- Die “Verwendung von sozialen Netzwerken für die dienstliche Verarbeitung personenbezogener Daten” ist “generell verboten”. Soll heißen: Lehrer dürfen sich beispielsweise nicht über Zeugnisnoten per Facebook austauschen oder sich die Telefonnummer eines Schülers schicken lassen — dieses würde den Datenschutz gefährden.
Sensible Daten wie Telefonnummer, Adressen oder Noten sollten tatsächlich nicht über die Plattform geschickt werden. Das grundsätzliche Verbot ist dennoch Blödsinn, da Facebook nicht per se unsicherer ist, als E-Mail oder andere Kanäle im Internet. Hinweise zum verantwortungsvollen Umgang mit sensiblen Daten würde den Lehrern wahrscheinlich mehr helfen, als eine Verbotskultur.
- Eine dienstliche Kommunikation von Lehrern mit Schülern, Eltern oder Kollegen über die sozialen Netzwerke ist aus datenschutzrechtlichen Gründen ebenfalls nicht erlaubt — sobald ein Server außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums stehe, könnten die hier gültigen Datenschutzstandards nicht gewährleistet werden.
Diese Regelung geht an der Realität völlig vorbei. Sie verfolgt den Ansatz, dass sensible Daten nicht auf außereuropäischen Servern gespeichert werden sollen. Seit #PRISM wissen wir jedoch, dass der Datenschutz auch nicht garantiert werden kann, wenn eine E-Mail z.B. innerhalb von Berlin verschickt wird. Es geht demnach nicht um den Speicherort (Server), sondern um den Weg der Daten innerhalb des Internets.
Das Bremer Bildungsministerium gibt die Regel vor:
- Wer als Lehrer mit seinen Schülern über soziale Netzwerke kommunizieren möchte, sollte sich dafür neben seinem privaten Account noch einen öffentlichen anlegen.
Wer diese Regel ersonnen hat, den sollte man mal erzählen, dass es bei Facebook möglich ist, die Freunde in Listen einzuteilen. Deshalb sollte es für Lehrer auch nicht schwierig sein, die Schüler in eine Liste zu vereinen, die dann vom Lehrer nur für sie bestimmte Nachrichten erhalten. Eine Nutzung von zwei Accounts ist deshalb unnötig.
Das Rheinland-Pfälzische Bildungsministerium bittet darum „die schulische Kommunikation nicht über Facebook stattfinden solle”.
Warum sollen Lehrer Werkzeuge nicht nutzen, die einem die Arbeit erleichtern?
Den krönenden Abschluss liefert das Kultusministerium in Bayern. Dort ist die Kontaktaufnahme als “Follower” bei Twitter “in beide Richtungen grundsätzlich unzulässig”.
In der Schule dürfen Lehrer und Schüler aber Kontakt aufnehmen, oder?
Diese ganzen Regeln zeigen eine Weltfremdheit, die nur schwer erklärbar ist. Ich versuche es dennoch: Die Regeln erlassenen Funktionseliten, die höheren Alters sind und kein Ahnung haben, über was sie dort eigentlich entscheiden. Diese Einschätzung wird durch folgende Punkte gestützt.
a) Das Internet und Facebook wird als eine von der realen Welt abgetrennte Sphäre betrachtet. Es wird nicht gesehen, dass Schüler zwischen digitaler und analoger Welt nicht mehr trennen. Facebook wird neben privater Kommunikation auch für die “schulische” Kommunikation genutzt, wenn es sinnvoll erscheint. Schüler neigen übrigens selbst dazu, ihren Facebook-Account, der mit Erwachsenen verbunden ist, nicht für die Kommunikation mit anderen Schülern zu nutzen.
b) Es gibt scheinbar keinerlei Verständnis, warum in der alltäglichen pädagogischen Arbeit dieses Werkzeug sinnvoll sein kann. Kollaboratives Arbeiten, transparente Informationspolitik, Schnelligkeit in der Kommunikation, der Einsatz moderner Medien sind demnach für die Ministerien nicht so wichtig.
c) Für die Ministerien Verschwimmen bei Facebook scheinbar die in der Schule klar getrennten Rollen der Lehrer (beruflich versus privat). Warum dies so sein soll, ist jedoch nicht nachvollziehbar, da in meiner Schulzeit Lehrer nie nur Lehrer waren, sondern auch eine private Seite hatten. Dies ist im Internet nicht anders und wie schon gesagt bietet Facebook Möglichkeiten die Rollentrennung durch das Einrichten von Freundeslisten klar zu kommunizieren.
Fazit: Die Richtlinien haben scheinbar #digital outsider erlassen, die ihre Logik aus der analogen Welt auf Facebook übertrugen. Sie bemerken nicht, dass auf Facebook in einer neuen Art und Weise kommuniziert wird, die mit der alten Logik nicht mehr gefasst werden kann. Den eingebremsten Lehrern bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht gezwungen werden, wie im letzten Jahrhundert zu kommunizieren. Alternativ können sie auf ein Bildungsministerium wie das achsen-anhaltinische hoffen, welches meint: “Man kann Sachen auch überregulieren — Lehrer sollen einfach verantwortungsvoll mit der Netzwelt umgehen” - 100% agree
Juli 25, 2013 um 14:48 Uhr
Die Sichtweise, dass die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft nicht bestehe, weil Facebook nur “ein Werkzeug für Kommunikation ist” finde ich etwas naiv.
Facebook ist gerade nicht nur einfach ein beliebiges Werkzeug für Kommunikation.
Kommunikation ist essentieller Bestandteil unserer Gesellschaft und wird in vielfältiger Weise verwendet um soziale Unterschiede herzustellen und zu stabilisieren.
Die Fokussierung auf Facebook greift hier natürlich viel zu kurz, mit dem Internet verändert sich die Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren allerdings schon ein Stück weit, insofern kann es auch sinnvoll sein, Internetnutzung auf soziale Differenzierung hin zu überprüfen und nötigenfalls gegenzusteuern.
Verbote von Internetnutzung in und durch die Schule können da aber nicht der richtige Weg sein, weil die Zwei-Klassen-Gesellschaft, bestehend aus internetkompetenten Menschen, die das Internet nutzen um zu lernen, Kompetenzen zu entwickeln und sich vorteilhaft zu präsentieren, sowie auf der anderen Seite diejenigen, die vom Internet abgeschottet werden, nur ein Stück weit verringert werden kann, wenn sich der Staat der Aufgabe von Kompetenzvermittlung auch in diesem Bereich annimmt.
Juli 27, 2013 um 10:12 Uhr
Hi Michael Karbacher,
vielen Dank für den Kommentar.
Ich habe nicht geschrieben, dass die Gefahr der Zwei-Klassen-Gesellschaft nicht bestünde. Ich stimmt Dir zu, dass es eine Differenzierung zwischen Schülern/Erwachsenen geben könnte, die Medienkompetenz haben und die die sie nicht haben.
Die Differenzierung in der Kategorie/Typus Medienkompetenz zeigt, dass FB nur ein Werkzeug ist, welches unterschiedlich genutzt werden kann. Andreas Schulze beschreibt dies in seinem Blogbeitrag ganz schön: “Man muss sie [Tools] nur richtig zu nutzen wissen. Es ist auch nicht das Fahrrad schuld, wenn ich ein Unfall baue, wenn ich vielleicht mehr als nur ein Erdinger Alkoholfrei getrunken habe. Natürlich sind Netzwerke wie Facebook und Twitter nicht ohne, keine Frage. Aber wenn man sie richtig einzusetzen weiß, helfen sie allen Beteiligten.”
Ich will damit sagen, letztlich können wir selbst bestimmen, wie viel wir uns mit dem Werkzeug auseinander setzen und wie stark wir es nutzen wollen. Ich finde eine Diskussion darüber sinnvoll, inwieweit in der Schule Medienkompetenz entwickelt werden sollte. Ich glaube, gewisse Grundkenntnisse schaden nicht und stellen sicher, dass alle von den neuen Möglichkeiten der Kommunikation profitieren.
Dir ein schönes Wochenende!
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