Ich hatte vor kurzem die Ehre einen demnächst erscheinenden Buchbeitrag von Carsten Rossi zu lesen und zu kommentieren. In diesem geht es um die Frage, wie Leadership 2.0 aussieht und wie der damit verbundene kulturelle Wandel in Unternehmen beschrieben werden kann. Wir diskutierten kurz über die Frage, wie stark der Wandel ausfallen wird, um den es in diesem Beitrag geht. Carsten Rossi schreibt:
„Leadership 2.0 hat wenig mit Führungskräften zu tun, eher schon mit ihrem Verschwinden. Oder etwas konsensfähiger ausgedrückt: Leadership 2.0 beschreibt das Verschwinden des tradierten „Command & Control“-Modells von Mitarbeiterführung, mit dem die meisten von uns noch aufgewachsen sind. Es geht um einen sehr grundlegenden, paradigmatischen Umbruch in der Organisations-, Führungs– und Kommunikationskultur vieler Unternehmen.“
Weitere schöne Beiträge über den Wandel zum Leadership 2.0 bieten diese Videos.
Wesentliche Aussagen sind:
- Die Führungskraft ist nicht mehr Befehlsgeber, sondern Moderator.
- Die Führungskraft ist Vorbild.
- Die Führungskraft ist ansprechbar und nimmt deshalb am Dialog teil oder beobachtet ihn.
- Die Führungskraft schafft Bedingungen anstatt Vorgaben zu machen.
Allen Punkten kann ich zustimmen. Die Frage, die ich mir jedoch stelle, ist, wie stark wandelt sich die Führung wirklich? Oft schwingt in der Diskussion um Leadership 2.0 sogar mit, dass dies „der Abschied von Hierarchien“ bedeutet.
Diese These geht mir zu weit. Was wandelt sich wirklich? Mitarbeiter haben verstärkt die Möglichkeit über Web 2.0-Kanäle mit Führungskräften ins Gespräch zu kommen. In dieser bottom-up Kommunikation werden unter Umständen massiv Hierarchieebenen übersprungen, was früher nicht möglich war. Diese Entwicklung würde ich eine Minderungen von Hierarchiegrenzen in der dialogischen Kommunikation nennen. Wenn sich Führungskräfte clever Verhalten (siehe Punkte von oben), dann kann die Minderung der Hierarchiegrenzen in der dialogischen Kommunikation sehr große Vorteile für alle Beteiligten bringen. Die Führungskräfte sehen z.B.
- die Probleme der Mitarbeiter unteren Ebenen
- die Ideen der Mitarbeiter
- die Stimmung in der Belegschaft
- oder können die eigenen Entscheidungen erklären.
Mitarbeiter auf unteren Hierarchieebenen können durch die neuen Möglichkeiten der Kommunikation:
- Arbeitsprobleme ansprechen und eventuell lösen
- für Unklarheiten Erklärungen einfordern
- eine gemeinsame Betroffenheit darstellen
- sich Reputation aufbauen
Dennoch gibt es in der dialogischen Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitern weiterhin Begrenzungen. Dazu zählen:
- mangelnde Zeitressourcen der Führungskräfte
- potenzielle Gefahren, die von den Hierarchien ausgehen, die durch Mitarbeiter umgangen wurden
- mangelnde Sprachkenntnisse
Die ersten zwei Punkte führen zu einer Steuerung der Dialoge zwischen oben und unten. Steuerungsmöglichkeiten sind z.B.
- eine Moderationen im Chat mit der Führungskraft
- Likes/Abstimmungen, wodurch der Führungskraft verdeutlicht wird, auf welche Diskussionen er/sie eingehen sollte.
- Einstelloptionen, wodurch Dialoge auch unterbunden/abgebrochen werden. Dies ist z.B. nötig, wenn durch unterschiedliche Interessen nicht alle Mitarbeiter zufrieden gestellt werden können.
- Übergangene Hierarchieebenen nutzen im Verdeckten Machtressourcen.
Ich möchte betonen, dass ich den Wandel zum Leadership 2.0 gut finde. Die proklamierten Aspekte bzgl. Leadership 2.0 sind Grundlage für das Ausnutzen der Potenziale, die Enterprise 2.0 bietet. Diese basieren auf die Minderung der hierarchischen Begrenzungen in der dialogischen Kommunikation. Die letzten Stichpunkte zeigen jedoch, dass diese Begrenzungen nicht völlig aufgelöst werden.
Neben der dialogischen Kommunikation gibt es weitere hierarchische Aspekte, die sich durch Enterprise 2.0 zwar leicht ändern, aber nicht verschwinden:
- Entscheidungskommunikation erfolgt weiterhin top-down aber die Entscheidungsfindung ändert sich
- Web 2.0 ermöglicht neue Steuerungsoptionen in der Kommunikation
- Formale Kommunikation bleibt unverzichtbar, kann aber teilweise ins Web 2.0 übertragen werden.
Fazit:
Leadership 2.0 ist unerlässlich, um die Potenziale, die im Enterprise 2.0 schlummern, zu heben. Diese sind z.B. im Ideenmanagement, bei der Problemlösung, im kollobarativen Arbeiten, in der Wissensgenerierung enorm. Für unliebsame Themen, wie die Ausweitung des Urlaubsanspruchs oder der Schließung eines Standortes bleiben die alten Führungsstrategien unerlässlich. Führungskräfte müssen erkennen, wann welche Rolle von ihnen verlangt wird, denn hierarchische Steuerung von Kommunikation wird durch Leadership 2.0 abgewandelt, aber nicht abgeschafft.
Pingback: commonsense GmbH - Was läuft schief mit Social Media in der Kommunikation?
August 22, 2013 um 14:38 Uhr
H René,
interessanter Post, dem ich (natürlich) etwas hinzufügen möchte:
1. Der Wandel von Führungsanforderungen / –stilen / –kulturen kommt nicht von ungefähr. Will meinen, sie ist nicht einfach nur ein neues Ideal, das Forderungen von Arbeitnehmern aufgreift und nebenbei produktivitätssteigernde Potentiale birgt, sondern “Leadership 2.0″ ist vor dem Hintergrund der Anforderungen moderner Wissensarbeit eine Notwendigkeit!
Das tayloristische Modell des “Command an Control” funktioniert nicht mehr in dem Moment, wo interdisziplinär besetzte Expertenteams komplexe Problemstellungen bearbeiten. Zu deren Lösung kann der oder die Vorgesetzte i.d.R. kaum mehr beitragen als einen möglichst optimalen Rahmen für die kollektive Problem zu schaffen. Denn er oder sie kann in der einzelnen Sachfrage die Entscheidung mangels fachlicher Expertise gar nicht treffen. Zu den Rahmenbedingungen gehören dann neben Ressourcen unbedingt auch die kulturellen Faktoren, dass also eine optimale sachorientierte Kommunikation stattfinden kann, in der das fachlich fundierte Argument mehr zählt als hierarchische Abhängigkeiten. Das, was Du oben als “Minderungen von Hierarchiegrenzen in der dialogischen Kommunikation” bezeichnest. Dementsprechend ist die Rolle des Moderators und Vorbilds in der Kommunikation unabdingbar.
Die — hiermit nur angeschnittenen — Rahmenbedingungen von Wissensarbeit und daraus abgeleiteten Anforderungen an Führung wurden im Rahmen der Studie “careers@communication” sehr deutlich (wir führten 28 Interviews mit Führungskräften aus insgesamt 12 großen Unternehmen; Interessierten sei das Buch “Die Projektdarsteller” empfohlen…)
2. Ich finde insbesondere den Punkt des Aufbaus von persönlicher Reputation über Social Media in Unternehmen sehr spannend. Denn wenn in der Wissensökonomie fachliche Expertise und persönliche Kompetenz gegenüber hierarchischer Position eine Aufwertung erfahren — und Social Media obendrein die Möglichkeit hierarchieübergreifeder Kommunikation offeriert — dann ist Social Media “the place to be”, um in einer hochgradig virtualisierten Arbeitswelt die eigene Kompetenz zu zeigen. Das soll nicht heißen, dass es reicht, tolle Wiki-Beiträge zu schreiben und im Social Network kluge Diskussionen anzustoßen — die “Real Life Performance” bleibt letztlich die Messlatte, an der Vorgesetzte und KollegInnen ihre Bewertung festmachen werden — welche sich dann auch wiederum in Bestätigung der selbst genannten Expertisen äußern kann (Stichwort Social tagging). Doch eine konsequente Nutzung von Social Media im Unternehmen kann und wird helfen, die eigene Sichtbarkeit zu steigern. Auf diese Weise kann man sich z.B. für neue Projekte ins Spiel bringen — sofern denn jemand in internen Social Media Diensten nach Experten sucht. Bei IBM machen die das! Das selbstorganisierte Staffing von internationalen Projektteams über Social Media ist da keine Seltenheit. Abgesehen mal davon, dass hier riesige Potentiale für die jeweilige Organisation schlummern, stecken hier m.E. auch persönliche Karrierepotentiale. Diese beiden Interessen gilt es m.E. miteinander zu verzahnen — und schon wäre auch eine (unter mehreren) Motivation der individuellen Social Media Nutzung gegeben. Doch da bin ich jetzt schon ganz beim Thema meiner Dissertation :-).
Bis bald!
Alex
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